Lars Alt: Interview mit der Braunschweiger Zeitung
Erzählen Sie uns bitte, wie das - auch zeitlich - abgelaufen ist mit Ihrem Nachrücken in den Landtag? Mussten Sie sich sehr schnell entscheiden?
Ich habe bei der vergangenen Landtagswahl im Jahr 2017 den Einzug in den Landtag knapp verpasst. Nachdem einer unserer Abgeordneten bereits im Jahr 2019 in das Europäische Parlament gewechselt ist, war ich auf Grund meiner Wahl auf der Landesliste der FDP erster Nachrücker. Im vergangenen Jahr hat sich dann unsere Abgeordnete Sylvia Bruns erfolgreich als neue Sozialdezernentin bei der Stadt Hannover beworben, sodass ich dem Landtag seit Oktober 2020 angehöre. Ein solches Nachrücken ist in Parlamenten gar nicht unüblich. In dieser Wahlperiode sind bereits sechs Abgeordnete nachträglich in den Landtag eingetreten. Weitere werden unmittelbar nach der Bundestagswahl im Herbst 2021 folgen.
Welche Gedanken sind Ihnen zuerst gekommen, als Sie von Ihrer neuen Aufgabe in Hannover erfahren haben?
Ich habe mich wirklich aus tiefstem Herzen gefreut. Ich habe auf diese Chance lange hingearbeitet. Als ich mich im Alter von 15 Jahren begonnen habe politisch zu engagieren, hätte ich nicht gedacht, dass einmal eine solche Chance erhalten würde. Für diese Chance bin ich dankbar und ich werde sie mit der notwendigen Umsicht in den Dienst unserer zunehmend unter Druck geratenen politischen Ordnung und in den Dienst einer liberalen, weltoffenen Gesellschaft stellen.
Wie haben Sie sich vorbereitet auf die Arbeit im Landtag?
Ich bin seit fünf Jahren Landesvorsitzender der Jungen Liberalen, also dem politischen Jugendverband der Freien Demokraten. Darüber hinaus bin ich seit einigen Jahren FDP-Kreisvorsitzender und Kreistagsabgeordneter im Landkreis Helmstedt. Das politische Tagesgeschäft ist mir also nicht fremd. Wir haben in der Vergangenheit viele gemeinsame Ideen entwickelt, die ich nun als Drucksache ins Parlament einbringen kann. Das ist wirklich ein schönes Gefühl.
In den vergangenen Wochen habe ich mich vor allem in die laufenden Beratungsgegenstände eingearbeitet. In meiner Fraktion verantworte ich die Bereiche Wissenschaft, Forschung, Kultur und Jugend. Damit verbunden sind aktuell viele Antrittsbesuche bei Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Verbänden. In kleinen Fraktionen wächst man sofort mit seinen Aufgaben. Ich habe in den ersten sechs Wochen fünfmal im Parlament gesprochen, ein Dutzend kleine Anfragen auf den Weg gebracht und einige Entschließungsanträge vorbereitet. Dabei unterstützen mich Referenten der Fraktion in Hannover, meine Wahlkreismitarbeiterin aus Emmerstedt und die Jungen Liberalen.
Fühlt man sich der Herausforderung auf Anhieb gewachsen?
Ehrlich gesagt nein. Ich möchte das einmal an einem Beispiel veranschaulichen. Ich habe in den vergangenen Jahren regelmäßig vor mehreren hundert Menschen gesprochen, etwa bei Parteitagen oder Kongressen. Als ich dann das erste Mal tatsächlich am Rednerpult im Parlament stand, habe ich eine vollkommen neue Demut und ein vollkommen neues Verantwortungsgefühl für die Aufgabe entwickelt. Und auch eine neue Form von Respekt und Wertschätzung für diejenigen, die Verantwortung für unser Gemeinwesen übernehmen. Hinter jeder Entscheidung, die wir treffen, stehen nicht nur riesige Summen, sondern auch Menschen. Gerade in der aktuellen Pandemie stehen Leben und Existenzen auf dem Spiel. Dem sollte sich jeder Politiker bewusst sein.
Gab es bisher schon Erlebnisse im und mit dem Landesparlament, die Sie überrascht, erfreut oder verärgert haben?
Ich wurde als jüngster Abgeordneter fraktionsübergreifend wirklich herzlich begrüßt. Das hat mir den Einstieg sehr erleichtert. Bei allen inhaltlichen Unterschieden zwischen den Parteien gibt es einen gemeinsamen Kitt, der unser politisches System zusammenhält. Zudem habe ich mit den lokalen Abgeordneten von SPD und CDU eine gute Arbeitsebene gefunden, auch wenn ich als Abgeordneter einer Oppositionsfraktion natürlich eine etwas andere Rolle habe.
Können wir davon ausgehen, dass Sie ein Leben als Berufspolitiker anstreben?
Politik ist meine große Leidenschaft. Ich verstehe meine Landtagszugehörigkeit als riesiges Privileg und große Chance, für die ich momentan sechs bis sieben Tage in der Woche arbeite. Politik bedeutet aber auch, Verantwortung immer nur auf Zeit zu übernehmen. Man darf trotz meines jungen Alters nicht vergessen, dass ich bereits fast 14 Jahre, also rund die Hälfte meines Lebens, politisch engagiert bin. Das hat den Vorteil, dass ich älteren Kollegen in der politischen Erfahrung in nichts nachstehe. Es hat aber den Nachteil, dass sich auch bei mir so manche Routinen einschleichen. Ich werde im kommenden Jahr wieder für den Landtag kandidieren. Ich habe noch viele inhaltliche Projekte, für die ich brenne. Aber ausschließen, dass ich in 10 Jahren noch einmal etwas völlig anderes mache, möchte ich nicht.
Die Demokratie und der gesellschaftliche Frieden geraten nicht nur in Deutschland unter Druck durch dialog- und konsensunfähige destruktive Kräfte, die in ihrer eigenen Welt leben. Wie sollten Parlamentarier mit diesem bedrohlichen Phänomen unserer Zeit - siehe den Sturm auf das US-Capitol vom 6. Januar oder den Angriff auf den Reichstag - umgehen?
Wir müssen begreifen, dass unsere Demokratie verwundbar und verletzlich ist. In Polen werden unliebsame Richter aus dem Amt getrieben. In Ungarn werden progressive Universitäten geschlossen. Und bei uns werden die Grenzen zwischen Fakten und Fake-News verwischt, um unserem politischen System zu schaden. Wir befinden uns also in einer Zeit, in der in unserem unmittelbaren Nahraum wieder Grundrechte in Frage gestellt werden. Gleichzeitig leben wir in einem der freiesten und wohlhabendsten Länder der Welt. Die Parlamentarier der demokratischen Mitte sollten deshalb stärker in die Offensive gehen. Wir müssen politische Entscheidungen detaillierter erklären. Nur Nachvollziehbarkeit kann Verständnis begründen. Ich versuche das beispielsweise auf meinen Kanälen in den sozialen Medien. Ich bin davon überzeugt: Je besser wir die Abläufe und Ergebnisse politischer Verfahren kommunizieren, desto höher wird das Vertrauen der Menschen in unsere parlamentarische Demokratie sein.
Wie lautet Ihr Kommentar zum Umgang der Politik in Berlin und in den Bundesländern mit der Corona-Pandemie?
Die Bundes- und Landesregierung hat das Land verantwortungsvoll durch die erste Pandemie-Welle geführt. Leider wurde anschließend der Sommer nicht genutzt, um eine nachhaltige Strategie gegen die zweite Infektionswelle zu entwickeln. Die Schulen wurden aus meiner Sicht von der Landesregierung allein gelassen. Die besonders gefährdeten Menschen wurden nicht ausreichend geschützt. Und bei der digitalen Pandemiebekämpfung bleibt Deutschland hinter seinen Möglichkeiten zurück. Stattdessen wurde die Mehrwertsteuer gesenkt. Mit dem Geld hätten wir alle Schulen in Deutschland an das Breitbandnetz anschließen, das modernste WLAN einrichten und alle Kinder aus bedürftigen Familien mit einem eigenen digitalen Endgerät ausstatten können. Das zeugt von einer falschen politischen Prioritätensetzung, die weder die Pandemie noch den wirtschaftlichen Abschwung bekämpft.
Welche Ziele haben Sie sich gesetzt für Ihre Arbeit im Landtag?
Die Generation der unter 30-Jährigen ist von der Pandemie ganz besonders betroffen. Viele Schülerinnen und Schüler haben zu Hause keine optimalen Lernbedingungen. Studierende wissen nicht mehr, wie sie ohne Nebenjob den Abschluss schaffen sollen. Und Absolventen finden derzeit kaum Ausbildungs- oder Arbeitsplätze. Gleichzeitig werden Rekordschulden gemacht, die meine Generation in den kommenden Jahrzehnten zusätzlich zurückzahlen muss. Ich möchte, dass wir bei all dem die Generationengerechtigkeit nicht aus den Augen verlieren.
Gleichzeitig dürfen wir nicht verkennen, dass jenseits der Pandemie große Veränderungen in unsere Art zu leben und in unsere Art zu wirtschaften Platz greifen, die momentan keine ausreichende politische Aufmerksamkeit erhalten. Das gilt vor allem für den Bereich der Digitalisierung und den Klimawandel. Ich möchte im Landtag neue Themen auf die Agenda setzen und meiner Generation eine parlamentarische Stimme geben.
Brauchen wir mehr junge Köpfe wie Sie in unseren Parlamenten - von der Kommunal- bis zur Bundesebene?
Junge Menschen sind in Parteien und Parlamenten unterrepräsentiert. Das Durchschnittsalter der Parlamentarier liegt in vielen Landtagen jenseits von 50 Jahren. In vielen kommunalen Gremien liegt das Durchschnittsalter jenseits von 60 Jahren. Auch gibt es bei Geschlechtern, Berufen und sozialer Herkunft eine vergleichsweise geringe Vielfalt. Dies ist kein Vorwurf, aber zeigt die Notwendigkeit zu innerparteilichen Reformen. Eine repräsentative Demokratie lebt von Ausgewogenheit.